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Montag, 22. Mai 2017

Prof. Mirjam Zadoff: Bubertät und rote Schafe



Öffentliche Vorträge von Prof. Mirjam Zadoff, der ersten Inhaberin der neuen Augsburger Gastprofessur für Jüdische Kulturgeschichte, am 28. Mai und 19. Juli

Augsburg/DS/KPP – Prof. Miriam Zadoff, PhD., lehrt auf dem Alvin H. Rosenfeld Chair an der Indiana University Bloomington/USA Jewish Studies and History. Im Sommersemester 2017 ist sie die erste Inhaberin einer an der Philologisch-Historischen Fakultät der Universität Augsburg neu eingerichteten Gastprofessur für Jüdische Kulturgeschichte. Mit zwei öffentlichenVorträgen am 28. Mai und am 19. Juli 2017 gibt sie über ihre Lehrtätigkeit an der Universität hinaus allen Interessierten Einblick in ihre Forschungen.

Auf der Grundlage einer großzügigen Spende des Augsburger Unternehmers Dr. Georg Haindl hat die Philologisch-Historische Fakultät der Universität Augsburg eine neue Gastprofessur eingerichtet. Auf diese Professur werden alljährlich Wissenschaftlerinnen oder Wissenschaftler aus dem In- oder Ausland eingeladen, um über jüdisches Leben und jüdische Kultur in Geschichte und Gegenwart nachzudenken.

Jüdische Kultur von der Vormoderne bis in die Gegenwart

Das vorgesehene Themenspektrum ist bereit. Es reicht von der Vormoderne, der Geschichte jüdischer Aufklärung und Emanzipation über die Shoa und die Exilliteratur bis hin zur jüdischen Literatur und Kultur der Gegenwart. „Wir sehen es als eine große Bereicherung, mit dieser Gastprofessur das internationale Profil und den kulturgeschichtlichen Schwerpunkt unserer Fakultät stärken und um eine zentrale Dimension globaler Geschichte erweitern zu können. In erster Linie“, so Dekan Prof. Dr. Gregor Weber, „kommt die mit der Gastprofessur verbundene Erweiterung unseres interdisziplinären Lehrangebots unseren Studentinnen und Studenten zugute, aber nicht minder sind unsere Gäste eingeladen, ihre Forschungen auch einer breiteren Öffentlichkeit näherzubringen.“ 

Von Kafka bis Woody Allen und von Mouse bis Madaya Mom

Als erste Inhaberin dieser Gastprofessur bietet Mirjam Zadoff den Augsburger Studentinnen und Studenten seit Beginn des Semesters Seminare zu Themen wie „Von Kafka bis Woody Allen. Der jüdische Körper in Wissenschaft, Kunst und Literatur“ oder „Von Mouse bis Madaya Mom: Geschichte in Comics“ an. Mit einem ganz anderen Thema richtet sie sich dann am 28. Mai an ein breiteres Publikum: „Am Ende der Bubertät. Juden im Weltkrieg“ ist der Titel des Vortrags, den sie zur Finissage der Ausstellung „’…zäh, genial, unbedenklich…’ - Die Schriftstellerin Paula Buber (1877 – 1958)“ beisteuern wird. An der Konzeption dieser Ausstellung in der Dependance "Ehemalige Synagoge Kriegshaber" des Jüdischen Kulturmuseums Augsburg – Schwaben (JKMAS) durch Studentinnen und Studenten der Universität Augsburg war Zadoff bereits beratend beteiligt.

Judentum und Erster Weltkrieg

Ihr Vortrag anlässlich des Ausstellungsabschlusses gilt dem Ehemann Paula Bubers, dem berühmten Religionsphilosophen Martin Buber. Er war das charismatische Zentrum der jüdischen Jugend zu Beginn des Weltkriegs. Seine Faszination für ein authentisches Judentum in Osteuropa versprach eine neue Einheit der Juden in Europa und eine neue – positive – jüdische Identität. Aber wie fast alle deutschen Juden gehörte auch er zu den enthusiastischen Unterstützern des Weltkrieges. Damit machte er sich zur Zielscheibe junger Zionisten, die in ihrer oppositionellen Haltung zum Krieg und in ihrer Radikalität den verehrten Buber massiv in Frage stellten. Zadoffs Vortrag folgt dieser Auseinandersetzung bis zur deutschen Revolution, in der Buber sich überraschend dann selbst zur Radikalität bekannte.

Judentum und Kommunismus

Ihren zweiten öffentlichen Vortrag mit dem Titel „Die roten Schafe der Familie“ widmet Mirjam Zadoff am 19. Juli im Jüdischen Kulturmuseum dem heiklen Thema „Kommunisten und Judentum“: Welche jüdische Familie hatte nicht ihr „rotes Schaf“? In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bekannten sich zahlreiche jüdische Söhne oder Töchter zur radikalen Linken und zum Kommunismus. In Deutschland, Österreich, Polen und Russland, wo jüdisches Leben in unterschiedlicher Weise kompliziert und ambivalent war, galt die Zahl der „roten Schafe“ als besonders hoch. Viele von ihnen existieren bis heute nur an den Rändern der Geschichtsbücher und finden nur verstohlen Platz in den Fotoalben der Familien. Ihre Geschichte ist ein Kapitel der jüdischen Historiographie, das bis heute vielerorts mit Unbehagen erinnert wird – nicht zuletzt wegen ihres häufig tragischen Endes.


Termine:

• Am Ende der Bubertät. Juden im Weltkrieg
Öffentlicher Vortrag zum Abschluss der Ausstellung „Die Schriftstellerin Paula Buber“ am 28. Mai 2017 um 17.00 Uhr im Pfarrheim Heiligste Dreifaltigkeit, Ulmer Straße 195a (gegenüber der ehemaligen Synagoge), 86156 Augsburg, Eintritt 5,00/3,00 Euro

• Die roten Schafe der Familie. Kommunisten und Judentum
Öffentlicher Vortrag am 19. Juli 2017 um 19.00 Uhr im Festsaal der Synagoge Augsburg, Halderstraße 6-8, 86150 Augsburg, Eintritt frei

Kontakt:

Prof. Mirjam Zadoff
c/o Prof. Dr. Bettina Bannasch

Was die anderen Hochbegabten anders machen – ein Beispiel aus der Wirtschaft für die Politik


Foto: Ralf Voigt


Man erkennt sie.

Es sind die kleinen Einsteins, die Picassos und die Mozarts. Sie lesen schon mit sechs Jahren „The New York Times“, korrespondieren mit fünf Jahren in Mandarin und spielen mit vier Jahren die Spatzenmesse in C-Dur. Später studieren sie dann bereits mit 14 an einer Uni und werden jüngster Professor oder jüngste Professorin.

Man kennt sie.

Dann gibt es noch die anderen.

Ihre Begabung ist nicht so offensichtlich. Oder: offensichtlich nur für Eingeweihte. Für Kennerinnen und Kenner. Wahrscheinlich stehen sie nicht in einem Labor. Ob sie mit dem Pinsel umgehen können? Seien Sie tapfer: Wohl eher nicht so. Ob sie eine Stradivari zu schätzen wissen? Hm.

Und doch haben sie ihre Begabung. Erkennbar wie gesagt fast nur für Eingeweihte.

Ein Beispiel: Ich war Mitglied in einem Verband, der das Wort „Wirtschaft“ in seinem Namen trägt. Es ging um ein Thema, das alle Menschen bewegt. Wirklich alle. Wirklich jeden. Es ging um Politik. Und um den Anlauf zu einem neuen Gesetz. Man diskutierte. Und fragte sich, wie man denn überzeugend argumentieren könnte.

Ich erwähnte den Gedanken einer Befragung. Sie kennen das: In jeder grösseren Stadt stehen diese Interviewer auf der grossen Einkaufsstrasse und wollen wissen, welche Zahnpasta, welches Waschmittel, welche Automarke Sie bevorzugen. Strasseninterviews nennen wir das. Wir, das sind meine Kolleg*innen aus der Marktforschung und ich. Ich hatte damals ein Institut für Markt- und Kommunikationsforschung. Unsere Klienten aus der Politik und Wirtschaft waren bekannt und angesehen und wir waren stolz darauf, für sie forschen zu dürfen.

In meinem Verband war das bekannt.

Ja. Sagte man: Eine Befragung auf der Strasse ist ein überzeugendes Argument. Wir – wer auch immer „wir“ sein sollte – wir stellen uns auf die Strasse und befragen die Menschen. Und dann geben wir – und das war der Sinn der Sache – das Ergebnis an den OB der Stadt. Einer von meinen Kollegen im Verband meinte dann: Ob wir wohl 50 Menschen dazu bewegen können, mit uns zu reden?

Wie, sagte ich: 50 Menschen?

Ja. Sagten die anderen. 50 Menschen wäre eine tolle Sache.

Klar sind 50 Menschen eine tolle Sache. Aber: Wie wollen wir einen OB mit den Stimmen von 50 Menschen motivieren, ein neues Gesetz in Gang zu bringen? Nach einer halben Stunde hatte man sich auf 100 Menschen geeinigt. Mit dem Zusatz: Ob wir das wohl schaffen werden?

Warum so zaghaft?

Die Jungs und Mädels, die hier zusammen sassen, waren die Menschen, die täglich über Millionen entschieden. Ihre Denkweisen waren nicht 100 oder 1.000. Es waren 1.000.000 und mehr!

Mir war klar, dass ich meine lieben Kolleginnen und Kollegen jetzt schockieren musste. Nicht weil ich Schocks mag – aber ich musste ihnen schon sagen, wie so etwas in der Realität funktioniert. Dass man an den verantwortlichen Stellen – sorry – 100 Menschen als Beweis nicht gelten lassen wird. Man wird schmunzeln und zur Tagesordnung übergehen.

Noch bevor ich den Gedanken: „Wie sag‘ ich es das denn jetzt?“ zu einem Satz modellieren konnte, war es raus:

1.000 INTERVIEWS!
1.000 Interviews?

Das Entsetzen war gross. Nur unser Präsident war begeistert. Und dann ging das los, was zumeist los geht, wenn ein Hochbegabter – eine Hochbegabte – eine Idee und einen Weg vor Augen hat: GEHT NICHT! FUNKTIONIERT NICHT! SCHAFFEN WIR NICHT! WIR SIND DOCH NICHT VERRÜCKT! WER SOLL DAS DENN ALLES ZAHLEN?

Ich hörte mir das eine Stunde an, während ich das Konzept schrieb, die Umsetzung des Konzepts plante und einen Entwurf für den Fragebogen entwarf. Unser Präsident hatte mich aus den Augenwinkeln beobachtet und rief mich auf – nach vorne zu kommen und die Einzelheiten zu präsentieren. Gesagt. Getan.
Wir fanden über 50 Mitglieder aus dem Wirtschafts-Verband, die mitmachten. Manager*innen, die ich mit meinem Team für diesen Einsatz schulte. Es waren wohl die Interviewer*innen mit den höchsten Stundenlöhnen, die hier und heute ehrenamtlich auf die Strasse gingen und sehr mutig die Menschen nach ihrer Meinung befragten.

Um Mitternacht hatten wir 1.037 Interviews geschafft. Alle von meinen Forscherkollegen und mir kontrolliert. Alle perfekt. Es war ein harter Job – aber selten habe ich ein Team von fast 100 „Mitarbeiter*innen“ so begeistert arbeiten gesehen.

Am nächsten Morgen wurde noch einmal kontrolliert. Und dann gingen die Fragebögen ins Rechenzentrum zur Uni. Ich schrieb dazu einen Bericht für die Präsentation. Mein Team zeigte einen bewundernswerten Einsatz. Und so konnte ich meiner Assistentin auch nicht die Bitte abschlagen, die Ergebnisse beim OB präsentieren zu dürfen.

Der OB schien sehr zufrieden. Und so wanderten unsere Ergebnisse weiter „nach oben“. Und so wurde aus unserer Idee der Beweis, dass die Menschen diese Verbesserung ihres Alltags wirklich wollten.

Schliesslich wurde aus dem Beweis ein Gesetz in Deutschland, das jedem Menschen den Alltag etwas besser macht. Zur Freude der Menschen.
Nein, so faszinierend wie ein Picasso ist dieses Gesetz nicht.

Aber es erleichtert seitdem allen Menschen ihr Leben. Und das Tag für Tag in Deutschland.

Wenn Sie Unternehmer*in sind: Gründen Sie einen Think Tank mit Ihren Hochbegabten und allen, die mutig sind und gross denken und handeln können. Dann sind Sie nicht nur Ihre Probleme los. Sie haben auch die Chance, die Welt ein bisschen besser machen zu können.

Was sagte John F. Kennedy in seiner Antrittsrede am 20. Januar 1961 in Washington, D.C.:

„Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann - fragt, was ihr für euer Land tun könnt (…) fragt, was wir gemeinsam tun können für die Freiheit des Menschen.“[1]

Lilli Cremer-Altgeld
Mobil 0049 1575 5167 001