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Dienstag, 1. August 2017

leibniz: Familie


In seiner neuen Ausgabe widmet sich das Magazin der Leibniz-Gemeinschaft dem Schwerpunkt „Familie“.
 


Die Crew bestimmt den Kurs. Denn wohin es uns im Leben verschlägt, hängt nicht zuletzt von unserer Familie ab. Sie kann uns über Wasser halten, auch bei Sturm; uns aber auch aufwühlen. Mitunter wählen wir ganz andere Wege als unsere Eltern und Geschwister, auch auf die Gefahr hin, mal baden zu gehen. Die Familie ist ein komplexer Forschungsgegenstand. Woher kommt sie, wie verändert sie sich – und was passiert, wenn sie fehlt?
Manche Menschen suchen ein Leben lang nach ihren leiblichen Eltern. Der Paläoanthropologe Friedemann Schrenk von der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung sucht mit derselben Beharrlichkeit nach unseren Vorfahren. In Malawi entdeckte er die ältesten Überreste der ersten Menschen. Homo rudolfensis war ein soziales Wesen. Aber war er auch ein Familienmensch?
Am Potsdamer Leibniz-Institut für Astrophysik erforscht Noam Libeskind den Ursprung des Universums. Sein Vater, der Architekt Daniel Libeskind, erschafft mit seinen Bauten Neues. In leibniz sprechen die beiden über die Gemeinsamkeiten ihrer Felder und erklären, warum ihre Familie immer wieder zusammen Projekte beginnt.
Vor einem Jahr erinnerte der Deutsche Bundestag mit einer Resolution an den Völkermord an den Armeniern, dem 1915 und 1916 bis zu 1,5 Millionen Menschen zum Opfer fielen. Die Historikerin Nazan Maksudyan vom Leibniz-Zentrum Moderner Orient erzählt die Geschichte einer Überlebenden, die der Genozid zur Waise machte: ihrer Urgroßmutter.

Außerdem lesen Sie in leibniz:
  • Wie die Familie prägt: Sie stellt die Weichen, auch schon vor der Geburt. Was liegt in der Familie?
  • Zeitfrage: Wie kriegt man Beruf, Kinder und die Reitstunden unter einen Hut? Ein Tag mit einer Forscherfamilie.
  • Ahnengalerie: Familienbilder wandeln sich – auch in der Malerei. Ein Gang durch die Epochen.
  • Geld oder Liebe? Ob Menschen Kinder kriegen, zusammenbleiben oder sich trennen, ist auch eine finanzielle Frage. Die Familie im Fokus der Ökonomie.
  • Im Exil: Der Krieg in Syrien hat viele Familien auseinandergerissen. Darunter leiden besonders Frauen auf der Flucht.
  • Es ist kompliziert: Wie funktioniert Familie im Tierreich? Ein Streifzug durch Riffe, Tunnelsysteme und die Baumkronen des Regenwalds.
  • Herrscherfamilien: Wenn Autokraten versuchen, ihre Macht an Verwandte weiterzugeben, nimmt das für sie oft kein gutes Ende.
  • Auszeit: Sabbaticals haben auch eine familienpolitische Funktion. Braucht es ein Recht auf Pause? Zwei Standpunkte.
  • Selbstbestimmung: Die Schriftstellerin Alexandra Kollontai forderte Anfang des 20. Jahrhunderts freie Liebe statt Vernunftehe. Eine ihrer Erzählungen in Auszügen.
  • Isoliert: Manfred Krifka vom Leibniz-Zentrum Allgemeine Sprachwissenschaft über Sprachen, die keine Familie haben.

leibniz erscheint dreimal im Jahr. Das PDF und die Blätterversion finden Sie unter www.leibniz-gemeinschaft.de/leibniz-2-2017. Die Druckversion können Sie kostenlos abonnieren: abo@leibniz-gemeinschaft.de.

Pressekontakt für die Leibniz-Gemeinschaft
Mirjam Kaplow
Tel.: 030 / 20 60 49 – 42
Mobil: 0172 8433549

David Schelp
Tel.: 030 / 20 60 49 – 47

Die Leibniz-Gemeinschaft
Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 91 selbständige Forschungseinrichtungen. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen - u.a. in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Sie unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 18.700 Personen, darunter 9.500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt bei mehr als 1,8 Milliarden Euro.



Was die anderen Hochbegabten anders machen – ein Beispiel aus der Wirtschaft für die Politik


Foto: Ralf Voigt


Man erkennt sie.

Es sind die kleinen Einsteins, die Picassos und die Mozarts. Sie lesen schon mit sechs Jahren „The New York Times“, korrespondieren mit fünf Jahren in Mandarin und spielen mit vier Jahren die Spatzenmesse in C-Dur. Später studieren sie dann bereits mit 14 an einer Uni und werden jüngster Professor oder jüngste Professorin.

Man kennt sie.

Dann gibt es noch die anderen.

Ihre Begabung ist nicht so offensichtlich. Oder: offensichtlich nur für Eingeweihte. Für Kennerinnen und Kenner. Wahrscheinlich stehen sie nicht in einem Labor. Ob sie mit dem Pinsel umgehen können? Seien Sie tapfer: Wohl eher nicht so. Ob sie eine Stradivari zu schätzen wissen? Hm.

Und doch haben sie ihre Begabung. Erkennbar wie gesagt fast nur für Eingeweihte.

Ein Beispiel: Ich war Mitglied in einem Verband, der das Wort „Wirtschaft“ in seinem Namen trägt. Es ging um ein Thema, das alle Menschen bewegt. Wirklich alle. Wirklich jeden. Es ging um Politik. Und um den Anlauf zu einem neuen Gesetz. Man diskutierte. Und fragte sich, wie man denn überzeugend argumentieren könnte.

Ich erwähnte den Gedanken einer Befragung. Sie kennen das: In jeder grösseren Stadt stehen diese Interviewer auf der grossen Einkaufsstrasse und wollen wissen, welche Zahnpasta, welches Waschmittel, welche Automarke Sie bevorzugen. Strasseninterviews nennen wir das. Wir, das sind meine Kolleg*innen aus der Marktforschung und ich. Ich hatte damals ein Institut für Markt- und Kommunikationsforschung. Unsere Klienten aus der Politik und Wirtschaft waren bekannt und angesehen und wir waren stolz darauf, für sie forschen zu dürfen.

In meinem Verband war das bekannt.

Ja. Sagte man: Eine Befragung auf der Strasse ist ein überzeugendes Argument. Wir – wer auch immer „wir“ sein sollte – wir stellen uns auf die Strasse und befragen die Menschen. Und dann geben wir – und das war der Sinn der Sache – das Ergebnis an den OB der Stadt. Einer von meinen Kollegen im Verband meinte dann: Ob wir wohl 50 Menschen dazu bewegen können, mit uns zu reden?

Wie, sagte ich: 50 Menschen?

Ja. Sagten die anderen. 50 Menschen wäre eine tolle Sache.

Klar sind 50 Menschen eine tolle Sache. Aber: Wie wollen wir einen OB mit den Stimmen von 50 Menschen motivieren, ein neues Gesetz in Gang zu bringen? Nach einer halben Stunde hatte man sich auf 100 Menschen geeinigt. Mit dem Zusatz: Ob wir das wohl schaffen werden?

Warum so zaghaft?

Die Jungs und Mädels, die hier zusammen sassen, waren die Menschen, die täglich über Millionen entschieden. Ihre Denkweisen waren nicht 100 oder 1.000. Es waren 1.000.000 und mehr!

Mir war klar, dass ich meine lieben Kolleginnen und Kollegen jetzt schockieren musste. Nicht weil ich Schocks mag – aber ich musste ihnen schon sagen, wie so etwas in der Realität funktioniert. Dass man an den verantwortlichen Stellen – sorry – 100 Menschen als Beweis nicht gelten lassen wird. Man wird schmunzeln und zur Tagesordnung übergehen.

Noch bevor ich den Gedanken: „Wie sag‘ ich es das denn jetzt?“ zu einem Satz modellieren konnte, war es raus:

1.000 INTERVIEWS!
1.000 Interviews?

Das Entsetzen war gross. Nur unser Präsident war begeistert. Und dann ging das los, was zumeist los geht, wenn ein Hochbegabter – eine Hochbegabte – eine Idee und einen Weg vor Augen hat: GEHT NICHT! FUNKTIONIERT NICHT! SCHAFFEN WIR NICHT! WIR SIND DOCH NICHT VERRÜCKT! WER SOLL DAS DENN ALLES ZAHLEN?

Ich hörte mir das eine Stunde an, während ich das Konzept schrieb, die Umsetzung des Konzepts plante und einen Entwurf für den Fragebogen entwarf. Unser Präsident hatte mich aus den Augenwinkeln beobachtet und rief mich auf – nach vorne zu kommen und die Einzelheiten zu präsentieren. Gesagt. Getan.
Wir fanden über 50 Mitglieder aus dem Wirtschafts-Verband, die mitmachten. Manager*innen, die ich mit meinem Team für diesen Einsatz schulte. Es waren wohl die Interviewer*innen mit den höchsten Stundenlöhnen, die hier und heute ehrenamtlich auf die Strasse gingen und sehr mutig die Menschen nach ihrer Meinung befragten.

Um Mitternacht hatten wir 1.037 Interviews geschafft. Alle von meinen Forscherkollegen und mir kontrolliert. Alle perfekt. Es war ein harter Job – aber selten habe ich ein Team von fast 100 „Mitarbeiter*innen“ so begeistert arbeiten gesehen.

Am nächsten Morgen wurde noch einmal kontrolliert. Und dann gingen die Fragebögen ins Rechenzentrum zur Uni. Ich schrieb dazu einen Bericht für die Präsentation. Mein Team zeigte einen bewundernswerten Einsatz. Und so konnte ich meiner Assistentin auch nicht die Bitte abschlagen, die Ergebnisse beim OB präsentieren zu dürfen.

Der OB schien sehr zufrieden. Und so wanderten unsere Ergebnisse weiter „nach oben“. Und so wurde aus unserer Idee der Beweis, dass die Menschen diese Verbesserung ihres Alltags wirklich wollten.

Schliesslich wurde aus dem Beweis ein Gesetz in Deutschland, das jedem Menschen den Alltag etwas besser macht. Zur Freude der Menschen.
Nein, so faszinierend wie ein Picasso ist dieses Gesetz nicht.

Aber es erleichtert seitdem allen Menschen ihr Leben. Und das Tag für Tag in Deutschland.

Wenn Sie Unternehmer*in sind: Gründen Sie einen Think Tank mit Ihren Hochbegabten und allen, die mutig sind und gross denken und handeln können. Dann sind Sie nicht nur Ihre Probleme los. Sie haben auch die Chance, die Welt ein bisschen besser machen zu können.

Was sagte John F. Kennedy in seiner Antrittsrede am 20. Januar 1961 in Washington, D.C.:

„Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann - fragt, was ihr für euer Land tun könnt (…) fragt, was wir gemeinsam tun können für die Freiheit des Menschen.“[1]

Lilli Cremer-Altgeld
Mobil 0049 1575 5167 001