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Dienstag, 16. August 2016

Die Schokoladenseite des Managements ist weiblich




Jeder wünscht sich, dass das eigene Leben gelingt. Wie dies in Zeiten von Hochleistungsstress, Digitalisierung und immer schnelleren Veränderungen zu schaffen ist, wissen wir allerdings kaum. Wir haben mehr Möglichkeiten, aber weniger Zeit dafür. Maximierungsansprüche setzen uns unter Dauerdruck. Wir fürchten, etwas zu verpassen, nicht gut genug dazustehen oder die falsche Wahl zu treffen. Von allen Seiten werden wir beraten, wie wir die vielen Rollen unseres Lebens nicht nur erfüllen, sondern übererfüllen können. Das ist durchaus lustvoll, doch im Privat- und Berufsleben steigt mit der Chance auf Selbstbestimmung das Erfordernis der besseren Selbstfürsorge und Selbsterkenntnis.

Wohl fühlt sich, wer sich entscheiden kann, und zwar auf der Grundlage dessen, was für einen selbst gut ist. Das heißt zuallererst, sich selbst wichtiger zu nehmen. Und zwar bevor uns Krisen oder Krankheiten dazu zwingen. Diese kleine Bestandsaufnahme gilt ganz besonders für Führungsfrauen.  

Warum Führungsfrauen in Gefahr sind

Die Klischees stimmen, sagt eine Studie des Marktforschungsinstitutes Europressedienst Bonn.

Führungsarbeit kostet Gesundheit

Für Führungsfrauen ist es in Deutschland nach wie vor schwerer Karriere zu machen. Dabei leisten sie oft mehr als Männer und werden dafür schlechter bezahlt. Hilfe durch direkte Vorgesetzte begegnet nur knapp 30 Prozent der Frauen. Das ist Stress pur und Stress macht krank. Jede zweite Managerin hatte Verspannungen, Kopfschmerzen, Migräne, Schlafstörungen, Nervosität oder Magen-Darm-Probleme. Am meisten die angestellten Frauen. Selbständige können mit Druck gelassener umgehen. Für sie ist er eher eine Herausforderung.

Nur 40 Prozent der Frauen sind in der Lage, am Wochenende den Beruf loszulassen. Inzwischen fehlt es auch den Frauen an Zeit für Erholung und Selbstfürsorge. Mit Medikamenten verhindern Frauen auszufallen. Frauen begegnet bei Erkrankung nicht nur die Verständnislosigkeit der Kollegen, sondern auch der Familien.

Die „SHAPE-Studie“ befasst sich mit einer wissenschaftlichen Überprüfung des Themas Managerkrankheit. Die männlichen Manager haben tendenziell weniger körperliche Beschwerden als der Durchschnittsmann. Weibliche Führungskräfte klagen jedoch signifikant häufiger über körperlichen Beschwerden im Verhältnis zum Durchschnitt. Sowohl weibliche als auch männliche Führungskräfte erleben im Verhältnis zum Durchschnitt signifikant häufiger Erschöpfung. Es wird daraus geschlussfolgert, dass Führungsarbeit verstärkt zu Mattigkeit, Schlafdefizit, erhöhtem Schwächegefühl und Erschöpfbarkeit zu führen scheint.

Im Bereich chronischer Stress leiden männliche und weibliche Führungskräfte im Vergleich zum deutschen Durchschnitt signifikant häufiger an Arbeitsüberlastung, sozialer Überlastung und Erfolgsdruck.

Managerinnen berichten über signifikant mehr Arbeitsunzufriedenheit, mehr Überforderung bei der Arbeit, mehr Mangel an Anerkennung und mehr soziale Spannungen. Der Mangel an Wertschätzung, Achtung oder Lob für die erbrachten Arbeitsleistungen führt zu einer Verschlechterung der körperlichen Gesundheit.

Überforderung ist schick

Wir leben in einer Gesellschaft der Maximierung, des Perfektionismus, der Selbstausbeutung. Wann ist denn gut jemals gut genug? Wann können wir noch zufrieden sein? Unerreichbare Maßstäbe sind Normalität geworden und wir machen alle mit. Die Tatsache, dass Frauen im Beruf mehr Leistung erbringen, hat auch etwas mit ihren Ansprüchen an sich selbst zu tun.   

Negatives ist ansteckend

Negative Gefühle wie Erschöpfung oder Zynismus werden zwischen Paaren und in Teams weitergegeben. Je mehr wir über Stress und Probleme hören und lesen, umso mehr nehmen wir sie wahr. Die Fähigkeit von Frauen, sich gut in andere einfühlen zu können, fällt ihnen hier auf die Füße. 

Vergleiche sind Glücksräuber


Denn wir vergleichen nicht ermutigend, sondern verletzend, schauen nicht zur Seite, sondern orientieren uns nach oben. Der Vergleich mit gesellschaftlich vermittelten Idealen ist besonders teuflisch, weil sie uns von früh bis spät begegnen und wir dadurch glauben, sie seien das einzig Richtige.

Über die Autorin:
Dr. Ilona Bürgel ist Diplom-Psychologin und Expertin für den Wirtschaftsfaktor Wohlbefinden. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, aufzuzeigen, wie der Spagat zwischen Lust auf Leistung und Erhalt der eigenen Ressourcen in der Welt von heute gelingen kann. Nach 15 Jahren in Führungspositionen der freien Wirtschaft ist sie heute erfolgreiche Speakerin, Beraterin, Autorin und Kolumnistin. Sie wurde vom Ministerium für Wirtschaft und Energie als Vorbildunternehmerin ausgezeichnet. Soeben erschien ihr Buch „Psychische Ressourcen im Job“. Dr. Ilona Bürgel lebt und arbeitet in Dresden und Aarhus DK.


Dr. Ilona Bürgel
Dipl. Psychologin






Was die anderen Hochbegabten anders machen – ein Beispiel aus der Wirtschaft für die Politik


Foto: Ralf Voigt


Man erkennt sie.

Es sind die kleinen Einsteins, die Picassos und die Mozarts. Sie lesen schon mit sechs Jahren „The New York Times“, korrespondieren mit fünf Jahren in Mandarin und spielen mit vier Jahren die Spatzenmesse in C-Dur. Später studieren sie dann bereits mit 14 an einer Uni und werden jüngster Professor oder jüngste Professorin.

Man kennt sie.

Dann gibt es noch die anderen.

Ihre Begabung ist nicht so offensichtlich. Oder: offensichtlich nur für Eingeweihte. Für Kennerinnen und Kenner. Wahrscheinlich stehen sie nicht in einem Labor. Ob sie mit dem Pinsel umgehen können? Seien Sie tapfer: Wohl eher nicht so. Ob sie eine Stradivari zu schätzen wissen? Hm.

Und doch haben sie ihre Begabung. Erkennbar wie gesagt fast nur für Eingeweihte.

Ein Beispiel: Ich war Mitglied in einem Verband, der das Wort „Wirtschaft“ in seinem Namen trägt. Es ging um ein Thema, das alle Menschen bewegt. Wirklich alle. Wirklich jeden. Es ging um Politik. Und um den Anlauf zu einem neuen Gesetz. Man diskutierte. Und fragte sich, wie man denn überzeugend argumentieren könnte.

Ich erwähnte den Gedanken einer Befragung. Sie kennen das: In jeder grösseren Stadt stehen diese Interviewer auf der grossen Einkaufsstrasse und wollen wissen, welche Zahnpasta, welches Waschmittel, welche Automarke Sie bevorzugen. Strasseninterviews nennen wir das. Wir, das sind meine Kolleg*innen aus der Marktforschung und ich. Ich hatte damals ein Institut für Markt- und Kommunikationsforschung. Unsere Klienten aus der Politik und Wirtschaft waren bekannt und angesehen und wir waren stolz darauf, für sie forschen zu dürfen.

In meinem Verband war das bekannt.

Ja. Sagte man: Eine Befragung auf der Strasse ist ein überzeugendes Argument. Wir – wer auch immer „wir“ sein sollte – wir stellen uns auf die Strasse und befragen die Menschen. Und dann geben wir – und das war der Sinn der Sache – das Ergebnis an den OB der Stadt. Einer von meinen Kollegen im Verband meinte dann: Ob wir wohl 50 Menschen dazu bewegen können, mit uns zu reden?

Wie, sagte ich: 50 Menschen?

Ja. Sagten die anderen. 50 Menschen wäre eine tolle Sache.

Klar sind 50 Menschen eine tolle Sache. Aber: Wie wollen wir einen OB mit den Stimmen von 50 Menschen motivieren, ein neues Gesetz in Gang zu bringen? Nach einer halben Stunde hatte man sich auf 100 Menschen geeinigt. Mit dem Zusatz: Ob wir das wohl schaffen werden?

Warum so zaghaft?

Die Jungs und Mädels, die hier zusammen sassen, waren die Menschen, die täglich über Millionen entschieden. Ihre Denkweisen waren nicht 100 oder 1.000. Es waren 1.000.000 und mehr!

Mir war klar, dass ich meine lieben Kolleginnen und Kollegen jetzt schockieren musste. Nicht weil ich Schocks mag – aber ich musste ihnen schon sagen, wie so etwas in der Realität funktioniert. Dass man an den verantwortlichen Stellen – sorry – 100 Menschen als Beweis nicht gelten lassen wird. Man wird schmunzeln und zur Tagesordnung übergehen.

Noch bevor ich den Gedanken: „Wie sag‘ ich es das denn jetzt?“ zu einem Satz modellieren konnte, war es raus:

1.000 INTERVIEWS!
1.000 Interviews?

Das Entsetzen war gross. Nur unser Präsident war begeistert. Und dann ging das los, was zumeist los geht, wenn ein Hochbegabter – eine Hochbegabte – eine Idee und einen Weg vor Augen hat: GEHT NICHT! FUNKTIONIERT NICHT! SCHAFFEN WIR NICHT! WIR SIND DOCH NICHT VERRÜCKT! WER SOLL DAS DENN ALLES ZAHLEN?

Ich hörte mir das eine Stunde an, während ich das Konzept schrieb, die Umsetzung des Konzepts plante und einen Entwurf für den Fragebogen entwarf. Unser Präsident hatte mich aus den Augenwinkeln beobachtet und rief mich auf – nach vorne zu kommen und die Einzelheiten zu präsentieren. Gesagt. Getan.
Wir fanden über 50 Mitglieder aus dem Wirtschafts-Verband, die mitmachten. Manager*innen, die ich mit meinem Team für diesen Einsatz schulte. Es waren wohl die Interviewer*innen mit den höchsten Stundenlöhnen, die hier und heute ehrenamtlich auf die Strasse gingen und sehr mutig die Menschen nach ihrer Meinung befragten.

Um Mitternacht hatten wir 1.037 Interviews geschafft. Alle von meinen Forscherkollegen und mir kontrolliert. Alle perfekt. Es war ein harter Job – aber selten habe ich ein Team von fast 100 „Mitarbeiter*innen“ so begeistert arbeiten gesehen.

Am nächsten Morgen wurde noch einmal kontrolliert. Und dann gingen die Fragebögen ins Rechenzentrum zur Uni. Ich schrieb dazu einen Bericht für die Präsentation. Mein Team zeigte einen bewundernswerten Einsatz. Und so konnte ich meiner Assistentin auch nicht die Bitte abschlagen, die Ergebnisse beim OB präsentieren zu dürfen.

Der OB schien sehr zufrieden. Und so wanderten unsere Ergebnisse weiter „nach oben“. Und so wurde aus unserer Idee der Beweis, dass die Menschen diese Verbesserung ihres Alltags wirklich wollten.

Schliesslich wurde aus dem Beweis ein Gesetz in Deutschland, das jedem Menschen den Alltag etwas besser macht. Zur Freude der Menschen.
Nein, so faszinierend wie ein Picasso ist dieses Gesetz nicht.

Aber es erleichtert seitdem allen Menschen ihr Leben. Und das Tag für Tag in Deutschland.

Wenn Sie Unternehmer*in sind: Gründen Sie einen Think Tank mit Ihren Hochbegabten und allen, die mutig sind und gross denken und handeln können. Dann sind Sie nicht nur Ihre Probleme los. Sie haben auch die Chance, die Welt ein bisschen besser machen zu können.

Was sagte John F. Kennedy in seiner Antrittsrede am 20. Januar 1961 in Washington, D.C.:

„Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann - fragt, was ihr für euer Land tun könnt (…) fragt, was wir gemeinsam tun können für die Freiheit des Menschen.“[1]

Lilli Cremer-Altgeld
Mobil 0049 1575 5167 001