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Mittwoch, 26. April 2017

Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften: Hör’ mal, wer da spricht


Einigen Menschen ist es nicht möglich, andere Menschen – selbst enge Familienmitglieder und Freunde –  an ihrer Stimme zu erkennen. Was hinter diesem Phänomen steckt, war bisher kaum bekannt. Wissenschaftlerinnen des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) in Leipzig ist es nun gelungen, wesentliche Einblicke in dessen neuronale Mechanismen zu gewinnen. Das könnte nicht nur all denen helfen, die Schwierigkeiten haben, Stimmen zuzuordnen, sondern auch wichtige Erkenntnisse darüber liefern, wie unser Gehirn generell Stimmen verarbeitet.
Die Leipziger Neurowissenschaftler haben herausgefunden, dass die Hauptursache für Phonagnosie ein Fehler in stimmenselektiven Hirnarealen und deren Verbindungen im rechten Temporallappen ist, also in Arealen, die auf die Stimmenidentität spezialisiert sind. © MPI CBSBild vergrößern
Die Leipziger Neurowissenschaftler haben herausgefunden, dass die Hauptursache für Phonagnosie ein Fehler in ... [mehr]






































Zunächst ertönen drei weibliche, dann drei männliche Stimmen. 20 Minuten lang sagen sie kurze Sätze wie „der Bäcker verkauft warme Brötchen“ oder „das Kaninchen hoppelt über die Wiese“. Parallel dazu erscheint in diesem zu jeder Stimme der Name des Sprechers auf dem Bildschirm.
Den meisten Menschen gelingt es innerhalb dieses Onlinetests zur Stimmenerkennung gut, Stimme und Name der Person einander richtig zuzuordnen. Susanne Schmieder* und Franz Richter* jedoch nicht. Sie haben eine angeborene Phonagnosie, das heißt, sie können Menschen nicht anhand ihrer Stimme erkennen. Sie verstehen zwar, was eine andere Person sagt, und können auch anhand ihrer Stimme einschätzen, ob sie gerade wütend, traurig oder fröhlich ist. Sie können ihr jedoch keine Identität zuordnen, wenn sie diese Person nicht gleichzeitig sehen - etwa bei einem Telefongespräch.
Bisher war dieses Phänomen kaum untersucht, die neuronalen Ursachen unbekannt. Wissenschaftlerinnen des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig ist es nun gelungen, die Mechanismen im Gehirn von Betroffenen zu identifizieren. „Wir haben herausgefunden, dass die Hauptursache für Phonagnosie ein Fehler in stimmenselektiven Hirnarealen und deren Verbindungen im rechten Temporallappen ist, also in Arealen , die auf die Stimmenidentität spezialisiert sind“, so Claudia Roswandowitz, Erstautorin der zugrundeliegenden Studie, die nun im renommierten Fachmagazin NeuroImage erschienen ist.
Das Interessante dabei: Die Neurowissenschaftlerinnen konnten anhand von Untersuchungen an Hirnfunktionen beweisen, was sie bereits in Verhaltensstudien beobachtet hatten: Es gibt zwei verschiedene Typen der Phonagnosie, die auf verschiedenen neuronalen Fehlfunktionen basieren. Susanne Schmieder* leidet unter Schwierigkeiten bei der Wahrnehmung von Stimmen. Dadurch kann sie einer Stimme in dem seltenen Fall, in dem sie sie überhaupt erkennt, zwar ein Gesicht, einen Namen oder andere Informationen der Person zuordnen. Sie kann jedoch zwei unbekannte Stimmen nicht voneinander unterscheiden. Bei ihr sind die stimmenselektiven Hirnareale während der Verarbeitung von Stimmen weniger aktiv als bei Menschen ohne diese Schwierigkeiten.
Franz Richter* wiederum kann zwar prinzipiell Stimmen voneinander unterscheiden, also etwa erkennen, dass gerade der Sprecher gewechselt hat. Ihm fällt es jedoch sehr schwer, mit einer Stimme persönliche Informationen zu verknüpfen. Sein Defizit ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass die Verbindung zwischen den stimmenselektiven Arealen und den Hirnregionen, die die Stimme weiterverarbeiten und ihr etwa einen Namen zuordnen, nicht richtig funktioniert. Die zusätzlichen Informationen können somit nicht mit der Stimme verknüpft werden.
„Diese beiden Unterformen der Phonagnosie belegen, dass  beide Komponenten, sowohl die Wahrnehmung der Stimme als auch  die Assoziation weiterer Informationen zu der Stimme, relevant für die Stimmerkennung sind. Fällt jedoch einer der beiden Komponenten aus, tritt die Phonagnosie auf“, erklärt die Neurowissenschaftlerin.
Diese Erkenntnisse können nun nicht nur helfen, dieses Phänomen besser zu verstehen und darauf aufbauend Therapien zu entwickeln, um Betroffenen zu helfen. Vielmehr geben sie uns auch eine genauere Vorstellung davon, was genau im Gehirn geschieht, während wir Stimmen erkennen. An gesunden Probanden lassen sich solche selektiven Hirnprozesse nur schwer untersuchen, da sich weniger gut voneinander trennen lässt, wo etwa der Inhalt, die Emotion und letztlich die Identität des Gesprochenen verarbeitet wird. Ist jedoch ein abgegrenztes Defizit klar mit einer fehlerhaften Hirnfunktion in Verbindung zu bringen, lässt sich die Stimmenerkennung eindeutiger einem neuronalen Puzzlestück zuordnen.
„Wir gehen davon aus, dass es zwischen zwei und drei Prozent der Bevölkerung schwer fällt,  Personen anhand ihrer Stimme zu identifizieren“. so Studienleiterin Katharina von Kriegstein.  „Von Probanden aus dem Autismus-Spektrum wissen wir zum Beispiel, dass sie zwar Stimmen nicht gut erkennen können, aber auch Probleme damit haben, Gesichter zu identifizieren. Eine ‚pure’ Phonagnosie, bei der die Betroffenen keinerlei andere neurologische Auffälligkeiten zeigen, sei dagegen wahrscheinlich ein selteneres Phänomen. Susanne Schmieder* und Franz Richter* sind in Deutschland bisher die einzigen, weltweit zwei von drei bekannten Fällen. Um sie zu finden, hatten die Leipziger Wissenschaftler ein umfangreiches Testverfahren entwickelt, in dem an erster Stelle der 20-minütige Onlinetest steht. Mit zunehmend feineren Messverfahren konnten sie schließlich aus mehr als tausend Testteilnehmern die beiden Probanden mit ‚purer Phonagnosie‘ herauskristallisieren.

Was die anderen Hochbegabten anders machen – ein Beispiel aus der Wirtschaft für die Politik


Foto: Ralf Voigt


Man erkennt sie.

Es sind die kleinen Einsteins, die Picassos und die Mozarts. Sie lesen schon mit sechs Jahren „The New York Times“, korrespondieren mit fünf Jahren in Mandarin und spielen mit vier Jahren die Spatzenmesse in C-Dur. Später studieren sie dann bereits mit 14 an einer Uni und werden jüngster Professor oder jüngste Professorin.

Man kennt sie.

Dann gibt es noch die anderen.

Ihre Begabung ist nicht so offensichtlich. Oder: offensichtlich nur für Eingeweihte. Für Kennerinnen und Kenner. Wahrscheinlich stehen sie nicht in einem Labor. Ob sie mit dem Pinsel umgehen können? Seien Sie tapfer: Wohl eher nicht so. Ob sie eine Stradivari zu schätzen wissen? Hm.

Und doch haben sie ihre Begabung. Erkennbar wie gesagt fast nur für Eingeweihte.

Ein Beispiel: Ich war Mitglied in einem Verband, der das Wort „Wirtschaft“ in seinem Namen trägt. Es ging um ein Thema, das alle Menschen bewegt. Wirklich alle. Wirklich jeden. Es ging um Politik. Und um den Anlauf zu einem neuen Gesetz. Man diskutierte. Und fragte sich, wie man denn überzeugend argumentieren könnte.

Ich erwähnte den Gedanken einer Befragung. Sie kennen das: In jeder grösseren Stadt stehen diese Interviewer auf der grossen Einkaufsstrasse und wollen wissen, welche Zahnpasta, welches Waschmittel, welche Automarke Sie bevorzugen. Strasseninterviews nennen wir das. Wir, das sind meine Kolleg*innen aus der Marktforschung und ich. Ich hatte damals ein Institut für Markt- und Kommunikationsforschung. Unsere Klienten aus der Politik und Wirtschaft waren bekannt und angesehen und wir waren stolz darauf, für sie forschen zu dürfen.

In meinem Verband war das bekannt.

Ja. Sagte man: Eine Befragung auf der Strasse ist ein überzeugendes Argument. Wir – wer auch immer „wir“ sein sollte – wir stellen uns auf die Strasse und befragen die Menschen. Und dann geben wir – und das war der Sinn der Sache – das Ergebnis an den OB der Stadt. Einer von meinen Kollegen im Verband meinte dann: Ob wir wohl 50 Menschen dazu bewegen können, mit uns zu reden?

Wie, sagte ich: 50 Menschen?

Ja. Sagten die anderen. 50 Menschen wäre eine tolle Sache.

Klar sind 50 Menschen eine tolle Sache. Aber: Wie wollen wir einen OB mit den Stimmen von 50 Menschen motivieren, ein neues Gesetz in Gang zu bringen? Nach einer halben Stunde hatte man sich auf 100 Menschen geeinigt. Mit dem Zusatz: Ob wir das wohl schaffen werden?

Warum so zaghaft?

Die Jungs und Mädels, die hier zusammen sassen, waren die Menschen, die täglich über Millionen entschieden. Ihre Denkweisen waren nicht 100 oder 1.000. Es waren 1.000.000 und mehr!

Mir war klar, dass ich meine lieben Kolleginnen und Kollegen jetzt schockieren musste. Nicht weil ich Schocks mag – aber ich musste ihnen schon sagen, wie so etwas in der Realität funktioniert. Dass man an den verantwortlichen Stellen – sorry – 100 Menschen als Beweis nicht gelten lassen wird. Man wird schmunzeln und zur Tagesordnung übergehen.

Noch bevor ich den Gedanken: „Wie sag‘ ich es das denn jetzt?“ zu einem Satz modellieren konnte, war es raus:

1.000 INTERVIEWS!
1.000 Interviews?

Das Entsetzen war gross. Nur unser Präsident war begeistert. Und dann ging das los, was zumeist los geht, wenn ein Hochbegabter – eine Hochbegabte – eine Idee und einen Weg vor Augen hat: GEHT NICHT! FUNKTIONIERT NICHT! SCHAFFEN WIR NICHT! WIR SIND DOCH NICHT VERRÜCKT! WER SOLL DAS DENN ALLES ZAHLEN?

Ich hörte mir das eine Stunde an, während ich das Konzept schrieb, die Umsetzung des Konzepts plante und einen Entwurf für den Fragebogen entwarf. Unser Präsident hatte mich aus den Augenwinkeln beobachtet und rief mich auf – nach vorne zu kommen und die Einzelheiten zu präsentieren. Gesagt. Getan.
Wir fanden über 50 Mitglieder aus dem Wirtschafts-Verband, die mitmachten. Manager*innen, die ich mit meinem Team für diesen Einsatz schulte. Es waren wohl die Interviewer*innen mit den höchsten Stundenlöhnen, die hier und heute ehrenamtlich auf die Strasse gingen und sehr mutig die Menschen nach ihrer Meinung befragten.

Um Mitternacht hatten wir 1.037 Interviews geschafft. Alle von meinen Forscherkollegen und mir kontrolliert. Alle perfekt. Es war ein harter Job – aber selten habe ich ein Team von fast 100 „Mitarbeiter*innen“ so begeistert arbeiten gesehen.

Am nächsten Morgen wurde noch einmal kontrolliert. Und dann gingen die Fragebögen ins Rechenzentrum zur Uni. Ich schrieb dazu einen Bericht für die Präsentation. Mein Team zeigte einen bewundernswerten Einsatz. Und so konnte ich meiner Assistentin auch nicht die Bitte abschlagen, die Ergebnisse beim OB präsentieren zu dürfen.

Der OB schien sehr zufrieden. Und so wanderten unsere Ergebnisse weiter „nach oben“. Und so wurde aus unserer Idee der Beweis, dass die Menschen diese Verbesserung ihres Alltags wirklich wollten.

Schliesslich wurde aus dem Beweis ein Gesetz in Deutschland, das jedem Menschen den Alltag etwas besser macht. Zur Freude der Menschen.
Nein, so faszinierend wie ein Picasso ist dieses Gesetz nicht.

Aber es erleichtert seitdem allen Menschen ihr Leben. Und das Tag für Tag in Deutschland.

Wenn Sie Unternehmer*in sind: Gründen Sie einen Think Tank mit Ihren Hochbegabten und allen, die mutig sind und gross denken und handeln können. Dann sind Sie nicht nur Ihre Probleme los. Sie haben auch die Chance, die Welt ein bisschen besser machen zu können.

Was sagte John F. Kennedy in seiner Antrittsrede am 20. Januar 1961 in Washington, D.C.:

„Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann - fragt, was ihr für euer Land tun könnt (…) fragt, was wir gemeinsam tun können für die Freiheit des Menschen.“[1]

Lilli Cremer-Altgeld
Mobil 0049 1575 5167 001