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Mittwoch, 19. Juli 2017

„Vorlesen für dementiell erkrankte Menschen“


Prof. Dr. Theo Hartogh und Dr. Ulrike Kehrer mit den Utensilien der „Geschichte zum Suppenstein“, die in der Fortbildung thematisiert wird. (Bild: Daubenspeck)


Universität Vechta und Katholische Akademie Stapelfeld entwickeln neues Fortbildungsformat für haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter in der Pflege und Angehörige

„Es war einmal…“ Der bekannte Satz ist Anfang vieler Märchen und Geschichten. Geschichten, die Bilder im Kopf wecken: Von der Handlung selbst, der Atmosphäre und den Gefühlen der Hauptfiguren – aber möglicherweise auch der eigenen Kindheit und der Situation, in der man die Geschichte vorgelesen bekam. Solche „inneren Bilder“ geben Menschen Halt und Zutrauen. In der Arbeit mit dementiell Erkrankten nehmen diese Bilder, die beim Vorlesen einer Geschichte entstehen, eine besondere Funktion ein: Sie können Erinnerungen wachrufen und so das Gefühl vermitteln, wichtig und präsent zu sein. Mit der Thematik des Vorlesens für dementiell erkrankte Menschen befasst sich die gleichnamige Fortbildung, die am 5. und 6. September 2017 erstmals an der Katholischen Akademie Stapelfeld (KAS) angeboten wird. Konzipiert wurde sie in Kooperation mit der Universität Vechta.

„Wer es versteht, lebendig vorzulesen, kann durch Ton, Rhythmus, Gestik und Mimik viele Bilder beim Zuhörer erwecken“, erläutert Dr. Ulrike Kehrer, die zuständige Leiterin der Fortbildung an der KAS. „Auch wenn die Worte selbst vielleicht nicht mehr verstanden werden, wirken die nonverbalen Signale anregend. Eine Erzählpause weckt Neugier, die Stimmlage kann eine Atmosphäre düster oder fröhlich machen.“ Die Fortbildung übt mit den TeilnehmerInnen das lebendige Vorlesen und das Erzeugen von Bildern. Außerdem stehen Aufbau und Gestaltung einer Vorlese-Einheit auf dem Programm inklusive Handreichungen zur Auswahl geeigneter Texte wie der „Geschichte zum Suppenstein“, zum Einsatz von Requisiten und zur Gestaltung der Rahmenbedingungen.

Die Fortbildung ist aus der Kooperation von KAS und Universität Vechta entstanden, die 2015 begonnen hat. „Bisher lag ein Schwerpunkt auf Kursen zum Singen und Musizieren mit dementiell erkrankten Menschen“, erläutert Prof. Dr. Theo Hartogh von der Universität Vechta. „Die letztjährige Fachtagung ‚Märchen-Musik-Demenz‘ in der KAS regte uns an, unser gemeinsames Angebot im Bereich Demenz inhaltlich zu erweitern und das Vorlesen zum Thema eines eigenen Seminars zu machen. Auch hier sind haupt- und ehrenamtliche MitarbeiterInnen in der Pflege oder Angehörige von dementiell Erkrankten die Zielgruppe.“

Informationen und Anmeldung unter www.ka-stapelfeld.de/programm oder telefonisch bei Veronika Steiner du-Poel unter 04471 1881128.

Pressekontakt:
Sabrina Daubenspeck
Universität Vechta
Präsidialbüro, Marketing und Kommunikation
Fon +49 (0) 4441.15 520
Fax +49 (0) 4441.15 523
E-Mail pressestelle@uni-vechta.de

Was die anderen Hochbegabten anders machen – ein Beispiel aus der Wirtschaft für die Politik


Foto: Ralf Voigt


Man erkennt sie.

Es sind die kleinen Einsteins, die Picassos und die Mozarts. Sie lesen schon mit sechs Jahren „The New York Times“, korrespondieren mit fünf Jahren in Mandarin und spielen mit vier Jahren die Spatzenmesse in C-Dur. Später studieren sie dann bereits mit 14 an einer Uni und werden jüngster Professor oder jüngste Professorin.

Man kennt sie.

Dann gibt es noch die anderen.

Ihre Begabung ist nicht so offensichtlich. Oder: offensichtlich nur für Eingeweihte. Für Kennerinnen und Kenner. Wahrscheinlich stehen sie nicht in einem Labor. Ob sie mit dem Pinsel umgehen können? Seien Sie tapfer: Wohl eher nicht so. Ob sie eine Stradivari zu schätzen wissen? Hm.

Und doch haben sie ihre Begabung. Erkennbar wie gesagt fast nur für Eingeweihte.

Ein Beispiel: Ich war Mitglied in einem Verband, der das Wort „Wirtschaft“ in seinem Namen trägt. Es ging um ein Thema, das alle Menschen bewegt. Wirklich alle. Wirklich jeden. Es ging um Politik. Und um den Anlauf zu einem neuen Gesetz. Man diskutierte. Und fragte sich, wie man denn überzeugend argumentieren könnte.

Ich erwähnte den Gedanken einer Befragung. Sie kennen das: In jeder grösseren Stadt stehen diese Interviewer auf der grossen Einkaufsstrasse und wollen wissen, welche Zahnpasta, welches Waschmittel, welche Automarke Sie bevorzugen. Strasseninterviews nennen wir das. Wir, das sind meine Kolleg*innen aus der Marktforschung und ich. Ich hatte damals ein Institut für Markt- und Kommunikationsforschung. Unsere Klienten aus der Politik und Wirtschaft waren bekannt und angesehen und wir waren stolz darauf, für sie forschen zu dürfen.

In meinem Verband war das bekannt.

Ja. Sagte man: Eine Befragung auf der Strasse ist ein überzeugendes Argument. Wir – wer auch immer „wir“ sein sollte – wir stellen uns auf die Strasse und befragen die Menschen. Und dann geben wir – und das war der Sinn der Sache – das Ergebnis an den OB der Stadt. Einer von meinen Kollegen im Verband meinte dann: Ob wir wohl 50 Menschen dazu bewegen können, mit uns zu reden?

Wie, sagte ich: 50 Menschen?

Ja. Sagten die anderen. 50 Menschen wäre eine tolle Sache.

Klar sind 50 Menschen eine tolle Sache. Aber: Wie wollen wir einen OB mit den Stimmen von 50 Menschen motivieren, ein neues Gesetz in Gang zu bringen? Nach einer halben Stunde hatte man sich auf 100 Menschen geeinigt. Mit dem Zusatz: Ob wir das wohl schaffen werden?

Warum so zaghaft?

Die Jungs und Mädels, die hier zusammen sassen, waren die Menschen, die täglich über Millionen entschieden. Ihre Denkweisen waren nicht 100 oder 1.000. Es waren 1.000.000 und mehr!

Mir war klar, dass ich meine lieben Kolleginnen und Kollegen jetzt schockieren musste. Nicht weil ich Schocks mag – aber ich musste ihnen schon sagen, wie so etwas in der Realität funktioniert. Dass man an den verantwortlichen Stellen – sorry – 100 Menschen als Beweis nicht gelten lassen wird. Man wird schmunzeln und zur Tagesordnung übergehen.

Noch bevor ich den Gedanken: „Wie sag‘ ich es das denn jetzt?“ zu einem Satz modellieren konnte, war es raus:

1.000 INTERVIEWS!
1.000 Interviews?

Das Entsetzen war gross. Nur unser Präsident war begeistert. Und dann ging das los, was zumeist los geht, wenn ein Hochbegabter – eine Hochbegabte – eine Idee und einen Weg vor Augen hat: GEHT NICHT! FUNKTIONIERT NICHT! SCHAFFEN WIR NICHT! WIR SIND DOCH NICHT VERRÜCKT! WER SOLL DAS DENN ALLES ZAHLEN?

Ich hörte mir das eine Stunde an, während ich das Konzept schrieb, die Umsetzung des Konzepts plante und einen Entwurf für den Fragebogen entwarf. Unser Präsident hatte mich aus den Augenwinkeln beobachtet und rief mich auf – nach vorne zu kommen und die Einzelheiten zu präsentieren. Gesagt. Getan.
Wir fanden über 50 Mitglieder aus dem Wirtschafts-Verband, die mitmachten. Manager*innen, die ich mit meinem Team für diesen Einsatz schulte. Es waren wohl die Interviewer*innen mit den höchsten Stundenlöhnen, die hier und heute ehrenamtlich auf die Strasse gingen und sehr mutig die Menschen nach ihrer Meinung befragten.

Um Mitternacht hatten wir 1.037 Interviews geschafft. Alle von meinen Forscherkollegen und mir kontrolliert. Alle perfekt. Es war ein harter Job – aber selten habe ich ein Team von fast 100 „Mitarbeiter*innen“ so begeistert arbeiten gesehen.

Am nächsten Morgen wurde noch einmal kontrolliert. Und dann gingen die Fragebögen ins Rechenzentrum zur Uni. Ich schrieb dazu einen Bericht für die Präsentation. Mein Team zeigte einen bewundernswerten Einsatz. Und so konnte ich meiner Assistentin auch nicht die Bitte abschlagen, die Ergebnisse beim OB präsentieren zu dürfen.

Der OB schien sehr zufrieden. Und so wanderten unsere Ergebnisse weiter „nach oben“. Und so wurde aus unserer Idee der Beweis, dass die Menschen diese Verbesserung ihres Alltags wirklich wollten.

Schliesslich wurde aus dem Beweis ein Gesetz in Deutschland, das jedem Menschen den Alltag etwas besser macht. Zur Freude der Menschen.
Nein, so faszinierend wie ein Picasso ist dieses Gesetz nicht.

Aber es erleichtert seitdem allen Menschen ihr Leben. Und das Tag für Tag in Deutschland.

Wenn Sie Unternehmer*in sind: Gründen Sie einen Think Tank mit Ihren Hochbegabten und allen, die mutig sind und gross denken und handeln können. Dann sind Sie nicht nur Ihre Probleme los. Sie haben auch die Chance, die Welt ein bisschen besser machen zu können.

Was sagte John F. Kennedy in seiner Antrittsrede am 20. Januar 1961 in Washington, D.C.:

„Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann - fragt, was ihr für euer Land tun könnt (…) fragt, was wir gemeinsam tun können für die Freiheit des Menschen.“[1]

Lilli Cremer-Altgeld
Mobil 0049 1575 5167 001