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Dienstag, 4. April 2017

Unhaltbare Situation für unbegleitete Kinderflüchtlinge auf dem Balkan - Neuer Bericht von 12 Hilfsorganisationen



1.300 unbegleitete geflüchtete Kinder sind aufgrund der rigiden Grenzpolitik und unzureichender Schutzsysteme auf der gesamten Balkanroute verstärkt von Ausbeutung, Gewalt und Menschenhandel bedroht. Zu diesem Schluss kommen 12 nationale und internationale Hilfsorganisationen, darunter das International Rescue Commitee und Save the Children, in ihrem gemeinsamen aktuellen Bericht „Out of Sight, Exploited and Alone“. Mit dem Bericht beleuchten die Organisationen Probleme, die sich zu großen Teilen im Verborgenen abspielen. Denn viele geflüchtete Kinder entlang der Balkanroute vermeiden registriert zu werden und tauchen ab, da sie die Behörden fürchten und hoffen nach Mitteleuropa zu gelangen.

Die staatlichen Sozialsysteme entlang der Balkanroute versagen zu einem großen Teil darin, die Lage dieser besonders gefährdeten Kinder richtig einzuschätzen und sie entsprechend zu unterstützen. Die jüngsten Kinder sind erst 9 Jahre alt und haben eine über 1.000 Kilometer lange Flucht vor Krieg oder extremer Armut ohne Eltern oder erwachsene Begleitpersonen hinter sich. Sie bleiben für die meisten Behörden unsichtbar. Selbst wenn sie identifiziert sind, werden sie unter unzureichenden Bedingungen festgehalten oder sogar eingesperrt. In dieser aussichtslosen Lage verzweifeln die Kinder und werden so noch mehr in die Hände von Schmugglern und Menschenhändlern getrieben, die ihnen als ihre letzte Hoffnung erscheinen.

Seit vor einem Jahr die Grenzen geschlossen und der EU-Türkei-Deal verabredet wurden, sind die Risiken für Kinder erheblich gestiegen. Weil unbegleitete Kinderflüchtlinge auf ihrer Flucht wegen der mangelhaften Registrierungen unerkannt bleiben, sind sie noch abhängiger von Schleppern und Menschenhändlern. Der Bericht zeigt, wie diese Kinder von Schmugglern missbraucht und ausgebeutet werden, um sich das Geld für die Flucht Richtung Norden zu verdienen. Während viele versuchen, sich den massiven Stress, die Gefahren und die Vernachlässigung nicht anmerken zu lassen, zeigen ihre selbst gemalten Bilder schaurige Details der Brutalität, der sie auf der Reise ausgesetzt sind, die sie eigentlich in Sicherheit bringen sollte.

„Die nationalen Behörden auf dem Balkan sind überfordert, die Kinder zu registrieren und zu schützen“, beklagt Jelena Besedic, Advocacy Manager für Save the Children in Serbien. „Vor Ort gibt es weder geeignete Unterbringungen noch ausreichend qualifizierte Unterstützung hinsichtlich ihrer besonderen Bedürfnisse. Es gibt für die Kinder so gut wie keine sicheren und legalen Wege nach Europa. Viele versuchen, den staatlichen Behörden auszuweichen und bleiben damit häufig außerhalb der Reichweite humanitärer Organisationen, auch, weil sie von Schleppern manipuliert oder bedroht werden. Das erhöht entsprechend ihre Risiken für Ausbeutung und Gewalt.“

Der Mangel an kindergerechten Unterkünften bedeutet vor allem für die Alleinreisenden, selbst wenn sie als Kinder identifiziert werden, dass sie oft zusammen mit fremden Erwachsenen oder unter gefängnisähnlichen Bedingungen untergebracht werden. Das ist vor allem in Bulgarien und Ungarn der Fall.

Identifizierte Kinder werden oft einem Vormund zugewiesen, der nicht auf diese Aufgabe vorbereitet oder überhaupt überprüft wurde und der über keine ausreichende Befugnis oder Mittel verfügt, seiner Aufgabe und Verantwortung gerecht zu werden. Kinder erklärten, dass sie kaum Informationen über ihre Rechte und legalen Möglichkeiten erhalten.

„Jedes Kind muss Zugang zu umfassender Betreuung und Unterstützung bekommen“, fordert Ashleigh Lovett, Advocacy Koordinator des International Rescue Committee in der Region. „Wir müssen alle Regierungen zur Verantwortung ziehen, die diesen besonders gefährdeten Kindern die Hilfe versagen. Gleichzeitig muss als erstes sichergestellt werden, dass die Regierungen auch die notwendige Unterstützung und Mittel zur Verfügung haben, um verantwortungsvoll handeln zu können. Die EU und ihre Mitgliedstaaten müssen ihre dahingehenden Versprechen einhalten, einschließlich ihrer eingegangenen Verpflichtungen zur Verteilung von Flüchtlingen und Familienzusammenführungen für unbegleitete minderjährige Geflüchtete. Jede Regierung muss sich verpflichten, das Einsperren von Kindern zu beenden und allein reisenden Kindern professionelle Vormunde zur Seite zu stellen. Sonst werden Kinder, die ohnehin durch Krieg und Konflikt in ihrer Heimat traumatisiert sind, in immer gefährlichere Umstände hineingezwungen, weil sie unter dem Druck stehen, unbedingt weiterzukommen.“

Für Rückfragen oder Interviewanfragen mit Mitarbeitern vor Ort oder Meike Riebau, Rechtsreferentin für Migration bei Save the Children Deutschland, kontaktieren Sie bitte die Pressestelle.

Downloads:

Den vollständigen Bericht „Out of Sight, Exploited and Alone“ (Englisch) finden Sie hier: https://www.savethechildren.de/fileadmin/Berichte_Reports/Report_Out_of_Sight__Exploited_and_Alone_5mb.pdf


Kontakt:
Save the Children Deutschland e.V.
Pressestelle – Bastian Strauch                  
Tel.: +49 (30) 27 59 59 79 – 889                            

Was die anderen Hochbegabten anders machen – ein Beispiel aus der Wirtschaft für die Politik


Foto: Ralf Voigt


Man erkennt sie.

Es sind die kleinen Einsteins, die Picassos und die Mozarts. Sie lesen schon mit sechs Jahren „The New York Times“, korrespondieren mit fünf Jahren in Mandarin und spielen mit vier Jahren die Spatzenmesse in C-Dur. Später studieren sie dann bereits mit 14 an einer Uni und werden jüngster Professor oder jüngste Professorin.

Man kennt sie.

Dann gibt es noch die anderen.

Ihre Begabung ist nicht so offensichtlich. Oder: offensichtlich nur für Eingeweihte. Für Kennerinnen und Kenner. Wahrscheinlich stehen sie nicht in einem Labor. Ob sie mit dem Pinsel umgehen können? Seien Sie tapfer: Wohl eher nicht so. Ob sie eine Stradivari zu schätzen wissen? Hm.

Und doch haben sie ihre Begabung. Erkennbar wie gesagt fast nur für Eingeweihte.

Ein Beispiel: Ich war Mitglied in einem Verband, der das Wort „Wirtschaft“ in seinem Namen trägt. Es ging um ein Thema, das alle Menschen bewegt. Wirklich alle. Wirklich jeden. Es ging um Politik. Und um den Anlauf zu einem neuen Gesetz. Man diskutierte. Und fragte sich, wie man denn überzeugend argumentieren könnte.

Ich erwähnte den Gedanken einer Befragung. Sie kennen das: In jeder grösseren Stadt stehen diese Interviewer auf der grossen Einkaufsstrasse und wollen wissen, welche Zahnpasta, welches Waschmittel, welche Automarke Sie bevorzugen. Strasseninterviews nennen wir das. Wir, das sind meine Kolleg*innen aus der Marktforschung und ich. Ich hatte damals ein Institut für Markt- und Kommunikationsforschung. Unsere Klienten aus der Politik und Wirtschaft waren bekannt und angesehen und wir waren stolz darauf, für sie forschen zu dürfen.

In meinem Verband war das bekannt.

Ja. Sagte man: Eine Befragung auf der Strasse ist ein überzeugendes Argument. Wir – wer auch immer „wir“ sein sollte – wir stellen uns auf die Strasse und befragen die Menschen. Und dann geben wir – und das war der Sinn der Sache – das Ergebnis an den OB der Stadt. Einer von meinen Kollegen im Verband meinte dann: Ob wir wohl 50 Menschen dazu bewegen können, mit uns zu reden?

Wie, sagte ich: 50 Menschen?

Ja. Sagten die anderen. 50 Menschen wäre eine tolle Sache.

Klar sind 50 Menschen eine tolle Sache. Aber: Wie wollen wir einen OB mit den Stimmen von 50 Menschen motivieren, ein neues Gesetz in Gang zu bringen? Nach einer halben Stunde hatte man sich auf 100 Menschen geeinigt. Mit dem Zusatz: Ob wir das wohl schaffen werden?

Warum so zaghaft?

Die Jungs und Mädels, die hier zusammen sassen, waren die Menschen, die täglich über Millionen entschieden. Ihre Denkweisen waren nicht 100 oder 1.000. Es waren 1.000.000 und mehr!

Mir war klar, dass ich meine lieben Kolleginnen und Kollegen jetzt schockieren musste. Nicht weil ich Schocks mag – aber ich musste ihnen schon sagen, wie so etwas in der Realität funktioniert. Dass man an den verantwortlichen Stellen – sorry – 100 Menschen als Beweis nicht gelten lassen wird. Man wird schmunzeln und zur Tagesordnung übergehen.

Noch bevor ich den Gedanken: „Wie sag‘ ich es das denn jetzt?“ zu einem Satz modellieren konnte, war es raus:

1.000 INTERVIEWS!
1.000 Interviews?

Das Entsetzen war gross. Nur unser Präsident war begeistert. Und dann ging das los, was zumeist los geht, wenn ein Hochbegabter – eine Hochbegabte – eine Idee und einen Weg vor Augen hat: GEHT NICHT! FUNKTIONIERT NICHT! SCHAFFEN WIR NICHT! WIR SIND DOCH NICHT VERRÜCKT! WER SOLL DAS DENN ALLES ZAHLEN?

Ich hörte mir das eine Stunde an, während ich das Konzept schrieb, die Umsetzung des Konzepts plante und einen Entwurf für den Fragebogen entwarf. Unser Präsident hatte mich aus den Augenwinkeln beobachtet und rief mich auf – nach vorne zu kommen und die Einzelheiten zu präsentieren. Gesagt. Getan.
Wir fanden über 50 Mitglieder aus dem Wirtschafts-Verband, die mitmachten. Manager*innen, die ich mit meinem Team für diesen Einsatz schulte. Es waren wohl die Interviewer*innen mit den höchsten Stundenlöhnen, die hier und heute ehrenamtlich auf die Strasse gingen und sehr mutig die Menschen nach ihrer Meinung befragten.

Um Mitternacht hatten wir 1.037 Interviews geschafft. Alle von meinen Forscherkollegen und mir kontrolliert. Alle perfekt. Es war ein harter Job – aber selten habe ich ein Team von fast 100 „Mitarbeiter*innen“ so begeistert arbeiten gesehen.

Am nächsten Morgen wurde noch einmal kontrolliert. Und dann gingen die Fragebögen ins Rechenzentrum zur Uni. Ich schrieb dazu einen Bericht für die Präsentation. Mein Team zeigte einen bewundernswerten Einsatz. Und so konnte ich meiner Assistentin auch nicht die Bitte abschlagen, die Ergebnisse beim OB präsentieren zu dürfen.

Der OB schien sehr zufrieden. Und so wanderten unsere Ergebnisse weiter „nach oben“. Und so wurde aus unserer Idee der Beweis, dass die Menschen diese Verbesserung ihres Alltags wirklich wollten.

Schliesslich wurde aus dem Beweis ein Gesetz in Deutschland, das jedem Menschen den Alltag etwas besser macht. Zur Freude der Menschen.
Nein, so faszinierend wie ein Picasso ist dieses Gesetz nicht.

Aber es erleichtert seitdem allen Menschen ihr Leben. Und das Tag für Tag in Deutschland.

Wenn Sie Unternehmer*in sind: Gründen Sie einen Think Tank mit Ihren Hochbegabten und allen, die mutig sind und gross denken und handeln können. Dann sind Sie nicht nur Ihre Probleme los. Sie haben auch die Chance, die Welt ein bisschen besser machen zu können.

Was sagte John F. Kennedy in seiner Antrittsrede am 20. Januar 1961 in Washington, D.C.:

„Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann - fragt, was ihr für euer Land tun könnt (…) fragt, was wir gemeinsam tun können für die Freiheit des Menschen.“[1]

Lilli Cremer-Altgeld
Mobil 0049 1575 5167 001