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Mittwoch, 17. Mai 2017

Digitale Botanik: Forscher verknüpfen Wissen über fossile und aktuelle Pflanzen




Datenbank DIGIPHYLL soll neuartige Pflanzenbestimmung über Blätter ermöglichen – auch für Laien / Land fördert mit 185.000 Euro
Ein Blatt in der Natur finden, es online vergleichen, die Pflanzenart bestimmen und dann die entsprechende Pflanze in den Hohenheimer Gärten anschauen – das ist bereits in rund einem Jahr möglich. Die Blätter dürfen sogar fossil und bis zu 30 Mio. Jahre alt sein. Möglich machen es vier Botaniker und Paläontologen der Universität Hohenheim und des Naturkundemuseums Stuttgart, die ihre Datenbanken und Sammlungen zusammenführen. Ein neues Webtool soll allen Interessierten erlauben, darauf zuzugreifen. Das Wissenschaftsministerium fördert das weltweit einzigartige Projekt über die „Landesinitiative Kleine Fächer in Baden-Württemberg“ mit 185.000 Euro.

Weltweit einzigartig macht das Projekt, dass es einen einheitlichen Such- und Bestimmungsstandard für fossile und rezente, das heißt heutige Blätter schafft – bisher gab es lediglich lokal begrenzte Bestimmungssysteme. „Das ist ein Meilenstein für die Paläobotanik“, stellt Dr. Helmut Dalitz, Botaniker an der Universität Hohenheim und Leiter der Hohenheimer Gärten fest. „Wir verwenden dazu die Blätter einer Pflanze oder deren Abdrücke.“

„Über Blätter lassen sich Pflanzen recht gut bestimmen. Und fossil kommen Blätter häufig vor als Versteinerungen oder Abdrücke“, erklärt PD Dr. Anita Roth-Nebelsick, Paläobiologin am Naturkundemuseum Stuttgart. „Aus ihnen bekommen wir Informationen über die Flora und das Klima, das zu ihren Lebzeiten herrschte. Kleinere und hartlaubige Blätter deuten z.B. eher auf trockenes Klima hin, große Blätter sprechen für mehr Feuchtigkeit.“

„Und wir bekommen auch ökologische Informationen durch die Blattbestimmungen. Gab es Wald, wie sah er aus, welche Tiere gab es, wie sah die Umwelt aus. Das ist der Link von den fossilen Funden zu Erkenntnissen, die wir auch heutzutage nutzen können.“

Forscher führen drei Datenbanken zusammen
Das Naturkundemuseum steuert für das neue Webtool zwei Datenbanken bei. MORPHYLL – in ihr sind rund 6.000 fossile Blätter aus 8 europäischen Museen gespeichert, und eine Datenbank zu sogenannten Kutikula, die ebenfalls im Rahmen dieses Projektes erstellt wird.
„Eine Kutikula ist die von den Zellen der Blattoberfläche ausgeschiedene dünne Wachsschicht. Sie liefert uns Informationen über das Blatt und die Pflanze und kann auch noch nach Millionen Jahren erhalten sein“, erklärt Prof. Dr. Johanna Eder, Paläontologin und Direktorin des Naturkundemuseums Stuttgart.
Von der Universität Hohenheim kommt die Rezent-Blatt-Datenbank mit Pflanzen, die in den Hohenheimer Gärten heimisch sind. Für das Projekt werden Blätter so eingescannt, dass sie mit versteinerten Blättern vergleichbar sind.
In den Datenbanken sind viele Informationen enthalten, die in dieser Form bisher nicht für die Öffentlichkeit zugänglich waren, z.B. zu fossilen Blättern aus dem Fundus der Museen.

Gemeinsame Datenbank über neuartige Suche zugänglich
Die drei Datenbanken fassen die Forscher über einen sogenannten Datenbank-Knoten zusammen. Christopher Traiser, Paläobotaniker am Naturkundemuseum Stuttgart, wird den Knoten programmieren. Er zeichnet auch für MORPHYLL verantwortlich.
„Unsere Suchfunktion funktioniert über Bilder und damit über Ähnlichkeiten“, erklärt Traiser. „Das heißt, unsere Sortierschlüssel bilden Schnittmengen. Das ist neu und macht die Suche auch für interessierte Laien nutzbar, die sich mit lateinischen Fachbegriffen nicht auskennen.“
Neben der Programmierung ist auch der neue und erstmals einheitliche Bestimmungsschlüssel ein Meilenstein für die Paläobotanik, der verstreutes Wissen bündelt. Dr. Dalitz entwickelte vor 15 Jahren einen Bestimmungsschlüssel für tropische Pflanzen und baute die Datenbank Visualplants mit 30.000 Bildern auf. Diese dient als Grundlage für den paläobotanischen Schlüssel.
„Das funktioniert deswegen so gut, weil es auch in Deutschland und Europa erdgeschichtliche Warmzeiten gab“, erklärt Dr. Dalitz. „Hier wuchsen Pflanzen, die es heute noch in den Tropen oder in Nordamerika, aber nicht mehr hier in Europa, gibt.“

Hintergrund: Botanik und Archäo-/Paläobotanik an der Universität Hohenheim
Die Hohenheimer Gärten der Universität Hohenheim sind ein Gartenensemble, das seit nahezu 250 Jahren Pflanzen sammelt und kultiviert. Viele hundert Arten aus Europa, Nordamerika und Asien sind hier zu finden und über eine Datenbank mit ihren Standorten im Garten auch wiederzufinden. Besonders unter den Baumarten sind viele, die für das Projekt DIGIPHYLL als direkte Verwandte der Pflanzen in Frage kommen und über dieses Projekt digital verfügbar gemacht werden sollen.
Die Paläobotanik an der Universität Hohenheim befasst sich mit der Rekonstruktion historischer Umwelten mit Mikroresten (Pollen) und Makroresten sowie mit der Analyse von Jahrringen als Werkzeug für die Klimarekonstruktion.

Hintergrund: Forschung und Paläobotanik am Naturkundemuseum Stuttgart
Das Naturkundemuseum Stuttgart ist eines der größten naturkundlichen Forschungsmuseen in Deutschland mit einer international bedeutenden Sammlung. Diese wertvollen Archive des Lebens und der Artenvielfalt bilden die Basis für biosystematische Forschungsarbeit. Die Verbindung von naturkundlicher Forschung und breit gefächerter Wissensvermittlung ist das Kennzeichen des Staatlichen Museums für Naturkunde Stuttgart. Das Museum ist in einer Vielzahl von internationalen Forschungsprojekten tätig und hat eine große Expertise im Bereich der Artenerfassung, Artenbestimmung und der Erforschung von Ökosystemen.
Die Sammlung fossiler Pflanzen des Museums umfasst etwa 25.000 Objekte, vor allem Landpflanzenreste vom Devon (Erdaltertum) bis zum Pleistozän (Erdneuzeit) vor allem aus Europa.

Hintergrund: Landesinitiative„Kleine Fächer“
Mit der Landesinitiative möchte das Land Baden-Wüttemberg die Leistungsfähigkeit und Kompetenzen kleiner wissenschaftlicher Fächer sichern. Das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst stellt für die Entwicklung des webbasierten Kompetenztools DIGIPHYLL: Digitale Kompetenzvermittlung für die Paläobotanik in Forschung und Lehre 185.000 Euro zur Verfügung.

Links
http://db.gaerten.uni-hohenheim.de
http://www.visualplants.de
http://www.morphyll.naturkundemuseum-bw.de

http://www.naturkundemuseum-bw.de



Kontakt für Medien:

Dr. rer. nat. Helmut Dalitz, Universität Hohenheim, Hohenheimer Gärten,
T 0711 459-22181, E hdalitz@uni-hohenheim.de

PD Dr. Anita Roth-Nebelsick, Staatliches Museum für Naturkunde Stuttgart, Fossile Pflanzen
T 0711 8936-148, E anita.rothnebelsick@smns-bw.de


Text: Töpfer
Universität Hohenheim
Pressestelle
70593 Stuttgart
Tel.: 0711 459-22003
Fax: 0711 459-23289

Was die anderen Hochbegabten anders machen – ein Beispiel aus der Wirtschaft für die Politik


Foto: Ralf Voigt


Man erkennt sie.

Es sind die kleinen Einsteins, die Picassos und die Mozarts. Sie lesen schon mit sechs Jahren „The New York Times“, korrespondieren mit fünf Jahren in Mandarin und spielen mit vier Jahren die Spatzenmesse in C-Dur. Später studieren sie dann bereits mit 14 an einer Uni und werden jüngster Professor oder jüngste Professorin.

Man kennt sie.

Dann gibt es noch die anderen.

Ihre Begabung ist nicht so offensichtlich. Oder: offensichtlich nur für Eingeweihte. Für Kennerinnen und Kenner. Wahrscheinlich stehen sie nicht in einem Labor. Ob sie mit dem Pinsel umgehen können? Seien Sie tapfer: Wohl eher nicht so. Ob sie eine Stradivari zu schätzen wissen? Hm.

Und doch haben sie ihre Begabung. Erkennbar wie gesagt fast nur für Eingeweihte.

Ein Beispiel: Ich war Mitglied in einem Verband, der das Wort „Wirtschaft“ in seinem Namen trägt. Es ging um ein Thema, das alle Menschen bewegt. Wirklich alle. Wirklich jeden. Es ging um Politik. Und um den Anlauf zu einem neuen Gesetz. Man diskutierte. Und fragte sich, wie man denn überzeugend argumentieren könnte.

Ich erwähnte den Gedanken einer Befragung. Sie kennen das: In jeder grösseren Stadt stehen diese Interviewer auf der grossen Einkaufsstrasse und wollen wissen, welche Zahnpasta, welches Waschmittel, welche Automarke Sie bevorzugen. Strasseninterviews nennen wir das. Wir, das sind meine Kolleg*innen aus der Marktforschung und ich. Ich hatte damals ein Institut für Markt- und Kommunikationsforschung. Unsere Klienten aus der Politik und Wirtschaft waren bekannt und angesehen und wir waren stolz darauf, für sie forschen zu dürfen.

In meinem Verband war das bekannt.

Ja. Sagte man: Eine Befragung auf der Strasse ist ein überzeugendes Argument. Wir – wer auch immer „wir“ sein sollte – wir stellen uns auf die Strasse und befragen die Menschen. Und dann geben wir – und das war der Sinn der Sache – das Ergebnis an den OB der Stadt. Einer von meinen Kollegen im Verband meinte dann: Ob wir wohl 50 Menschen dazu bewegen können, mit uns zu reden?

Wie, sagte ich: 50 Menschen?

Ja. Sagten die anderen. 50 Menschen wäre eine tolle Sache.

Klar sind 50 Menschen eine tolle Sache. Aber: Wie wollen wir einen OB mit den Stimmen von 50 Menschen motivieren, ein neues Gesetz in Gang zu bringen? Nach einer halben Stunde hatte man sich auf 100 Menschen geeinigt. Mit dem Zusatz: Ob wir das wohl schaffen werden?

Warum so zaghaft?

Die Jungs und Mädels, die hier zusammen sassen, waren die Menschen, die täglich über Millionen entschieden. Ihre Denkweisen waren nicht 100 oder 1.000. Es waren 1.000.000 und mehr!

Mir war klar, dass ich meine lieben Kolleginnen und Kollegen jetzt schockieren musste. Nicht weil ich Schocks mag – aber ich musste ihnen schon sagen, wie so etwas in der Realität funktioniert. Dass man an den verantwortlichen Stellen – sorry – 100 Menschen als Beweis nicht gelten lassen wird. Man wird schmunzeln und zur Tagesordnung übergehen.

Noch bevor ich den Gedanken: „Wie sag‘ ich es das denn jetzt?“ zu einem Satz modellieren konnte, war es raus:

1.000 INTERVIEWS!
1.000 Interviews?

Das Entsetzen war gross. Nur unser Präsident war begeistert. Und dann ging das los, was zumeist los geht, wenn ein Hochbegabter – eine Hochbegabte – eine Idee und einen Weg vor Augen hat: GEHT NICHT! FUNKTIONIERT NICHT! SCHAFFEN WIR NICHT! WIR SIND DOCH NICHT VERRÜCKT! WER SOLL DAS DENN ALLES ZAHLEN?

Ich hörte mir das eine Stunde an, während ich das Konzept schrieb, die Umsetzung des Konzepts plante und einen Entwurf für den Fragebogen entwarf. Unser Präsident hatte mich aus den Augenwinkeln beobachtet und rief mich auf – nach vorne zu kommen und die Einzelheiten zu präsentieren. Gesagt. Getan.
Wir fanden über 50 Mitglieder aus dem Wirtschafts-Verband, die mitmachten. Manager*innen, die ich mit meinem Team für diesen Einsatz schulte. Es waren wohl die Interviewer*innen mit den höchsten Stundenlöhnen, die hier und heute ehrenamtlich auf die Strasse gingen und sehr mutig die Menschen nach ihrer Meinung befragten.

Um Mitternacht hatten wir 1.037 Interviews geschafft. Alle von meinen Forscherkollegen und mir kontrolliert. Alle perfekt. Es war ein harter Job – aber selten habe ich ein Team von fast 100 „Mitarbeiter*innen“ so begeistert arbeiten gesehen.

Am nächsten Morgen wurde noch einmal kontrolliert. Und dann gingen die Fragebögen ins Rechenzentrum zur Uni. Ich schrieb dazu einen Bericht für die Präsentation. Mein Team zeigte einen bewundernswerten Einsatz. Und so konnte ich meiner Assistentin auch nicht die Bitte abschlagen, die Ergebnisse beim OB präsentieren zu dürfen.

Der OB schien sehr zufrieden. Und so wanderten unsere Ergebnisse weiter „nach oben“. Und so wurde aus unserer Idee der Beweis, dass die Menschen diese Verbesserung ihres Alltags wirklich wollten.

Schliesslich wurde aus dem Beweis ein Gesetz in Deutschland, das jedem Menschen den Alltag etwas besser macht. Zur Freude der Menschen.
Nein, so faszinierend wie ein Picasso ist dieses Gesetz nicht.

Aber es erleichtert seitdem allen Menschen ihr Leben. Und das Tag für Tag in Deutschland.

Wenn Sie Unternehmer*in sind: Gründen Sie einen Think Tank mit Ihren Hochbegabten und allen, die mutig sind und gross denken und handeln können. Dann sind Sie nicht nur Ihre Probleme los. Sie haben auch die Chance, die Welt ein bisschen besser machen zu können.

Was sagte John F. Kennedy in seiner Antrittsrede am 20. Januar 1961 in Washington, D.C.:

„Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann - fragt, was ihr für euer Land tun könnt (…) fragt, was wir gemeinsam tun können für die Freiheit des Menschen.“[1]

Lilli Cremer-Altgeld
Mobil 0049 1575 5167 001