Nur
einer von zehn Schülern in Deutschland ging 2002 auf eine Ganztagsschule. Heute
lernen dort fast 40 Prozent aller Schüler. Für den Ausbau wurden große
Anstrengungen unternommen, doch Bildungsforscher sind ernüchtert: Viele
Ganztagsschulen nutzen die pädagogischen Potenziale nicht. Vier Stiftungen, die
sich für bessere Bildung engagieren, haben deshalb umfassende Empfehlungen
erarbeitet, was Politik und Verwaltung ändern sollten.
Eine
Qualitätsoffensive für Ganztagsschulen – das fordern vier große deutsche
Bildungsstiftungen. Der bisherige Ausbau sei nach dem Motto „Masse statt
Klasse“ verlaufen: Zwar ist die Zahl der Ganztagsangebote in den vergangenen 15
Jahren enorm gestiegen. Das damit verbundene Versprechen auf bessere
individuelle Förderung und mehr Chancengerechtigkeit jedoch werde kaum
eingelöst, weil die politischen Vorgaben und Rahmenbedingungen unbefriedigend
seien. Bertelsmann Stiftung, Robert Bosch Stiftung, Stiftung Mercator und
Vodafone Stiftung Deutschland empfehlen deshalb eine neue Definition von
Ganztagsschule. Zu den wichtigsten Vorschlägen ihrer heute veröffentlichten
Studie „Mehr Schule wagen“ gehören längere Öffnungszeiten, bessere pädagogische
Konzepte, mehr Gestaltungsspielräume für die Schulleitungen und eine höhere
finanzielle Ausstattung.
Jeden
Tag acht Stunden geöffnet
Fünf
mal acht: „Ganztagsschulen sollen an fünf Tagen in der Woche mit jeweils acht
Zeitstunden kostenfrei geöffnet sein“, heißt es in dem Papier der vier
Stiftungen. Für die Schüler würde das nicht bedeuten, die kompletten 40
Wochenstunden in der Schule verbringen zu müssen. Aber es gäbe Kernzeiten, in
denen für alle Schüler einer Jahrgangsstufe Anwesenheitspflicht besteht.
Diese
Empfehlung weicht erheblich von der aktuellen Regelung der
Kultusministerkonferenz (KMK) ab: Der zufolge darf sich schon Ganztagsschule
nennen, wer an drei Tagen in der Woche sieben Stunden geöffnet hat. Zwar
erfüllt mehr als die Hälfte aller deutschen Schulen derzeit diesen
Mindeststandard. Allerdings reicht dieses Zeitkontingent nicht aus, um den
starren 45-Minuten-Takt aufzulösen, einen pädagogisch sinnvollen Rhythmus aus
Lern-, Arbeits- und Spielzeiten einzurichten sowie angemessen individuell auf
die Stärken und Schwächen der Schüler einzugehen.
Hausaufgaben
abschaffen
Ebenfalls
wichtig: ein gesundes Mittagessen, längere Pausen und feste Arbeitszeiten, in
denen der Unterrichtsstoff wiederholt und vertieft wird. In diesen Stunden
sollen die Schüler nicht nur beaufsichtigt, sondern vom Klassenlehrer oder von
Fachlehrern betreut werden, die auch sonst die Klasse unterrichten. „Solche
Arbeitsformen machen es dann auch möglich, Hausaufgaben generell abzuschaffen“,
heißt es in den Stiftungsempfehlungen.
Wären
diese Kriterien bundesweit verbindlich, würden KMK und Länder die Leitplanken
künftig deutlich enger setzen: Etliche Ganztagsschulen müssten ihr Angebot
erheblich ausweiten und qualitativ hinterfragen oder auf das Etikett Ganztag
verzichten. Das Modell aus 40 Wochenstunden mit Kern- und Angebotszeiten ließe
auch die heutige Unterteilung in gebundene und offene Ganztagsschulen
überflüssig werden. Diese beiden heutigen Formen von Ganztagsschule machen ihre
Ganztagsangebote für die Schüler entweder vollständig verpflichtend oder
komplett freiwillig. Um Qualität von Schule zu definieren und zu sichern, tauge
diese starre Zweiteilung ohnehin nicht, sagen wissenschaftliche Forschung, pädagogische
Praxis und schulpolitische Erfahrungen vor Ort.
Ganztag
als pädagogische Chance begreifen
Politik
und Verwaltung werden in der Studie aufgefordert, den einzelnen Schulen mehr
Personal, größere Unterstützung und höhere organisatorische Gestaltungsfreiheit
einzuräumen. Mehr Gestaltungsspielräume sollen die Schulleitungen insbesondere
bei der Bewirtschaftung ihrer Mittel und bei der Auswahl des Personals
erhalten. „Eine gute Ganztagsschule benötigt genügend pädagogische Fachkräfte,
die den Ganztagscharakter als pädagogische Chance begreifen“, schreiben die
vier Stiftungen. Um im Kollegium eine gemeinsame pädagogische Grundorientierung
zu entwickeln, sind spezifische Fortbildungen, Coaching und wissenschaftliche
Begleitung wünschenswert. Diese Unterstützung der mittel- und langfristigen
Schulentwicklung sollte ergänzt werden durch mehr Ressourcen für
Alltagsorganisation, für die zusätzliches Verwaltungspersonal und neue
Arbeitszeitmodelle notwendig sind.
Zusatzinformationen:
Mit
„Mehr Schule wagen: Empfehlungen für guten Ganztag“ legen die Bertelsmann
Stiftung, die Robert Bosch Stiftung, die Stiftung Mercator und die Vodafone
Stiftung Deutschland erstmals ein umfassendes Konzept zur Qualität im Ganztag
vor, das Rahmenbedingungen und Qualitätsmerkmale gemeinsam betrachtet. Der
Qualitätsrahmen basiert auf einer systematischen Auswertung des
Handlungswissens exzellenter Ganztagsschulen, die für ihre herausragende
pädagogische Arbeit mit dem Deutschen Schulpreis oder dem Jakob Muth-Preis
ausgezeichnet worden waren. Dazu analysierte eine Forschergruppe aus Prof. Dr.
Falk Radisch (Universität Rostock), Prof. em. Dr. Klaus-Jürgen Tillmann
(Bielefeld) und Prof. em. Dr. Klaus Klemm (Essen) das Konzept und den
Schulalltag von zehn Ganztagsschulen Anfang Mai haben die Stiftungen ihre
Empfehlungen dem Schulausschuss der Kultusministerkonferenz in Berlin
vorgestellt.
Download
der Studie „Mehr Schule wagen – Empfehlungen für guten Ganztag“ unter:
www.stiftung-mercator.de/mehrschulewagen
www.stiftung-mercator.de/mehrschulewagen
Ansprechpartner:
Bertelsmann
Stiftung
Dr. Dirk Zorn, dirk.zorn@bertelsmann-stiftung.de, Tel. 05241/81-81546
www.bertelsmann-stiftung.de
Dr. Dirk Zorn, dirk.zorn@bertelsmann-stiftung.de, Tel. 05241/81-81546
www.bertelsmann-stiftung.de
Robert
Bosch Stiftung
Carolin Genkinger, Carolin.Genkinger@bosch-stiftung.de, Tel. 0711/46084-754
Carolin Genkinger, Carolin.Genkinger@bosch-stiftung.de, Tel. 0711/46084-754
Stiftung
Mercator
Dr. Petra Strähle, Petra.Straehle@stiftung-mercator.de, Tel. 0201/24522-811
Dr. Petra Strähle, Petra.Straehle@stiftung-mercator.de, Tel. 0201/24522-811
Vodafone
Stiftung Deutschland
Dr. Johanna Börsch-Supan, J.Boersch-Supan@vodafone.com, Tel. 0211/533-7924
Dr. Johanna Börsch-Supan, J.Boersch-Supan@vodafone.com, Tel. 0211/533-7924