Universität
Tübingen und Urgeschichtliches Museum Blaubeuren präsentieren 42.000 Jahre
alten Schmuck aus Mammutelfenbein: Herstellung und Tragen waren wohl nur auf
der Schwäbischen Alb Tradition
Schon vor
42.000 Jahren nutzten Menschen Schmuck als Ausdruck von Gruppenidentität.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Tübingen und des Senckenberg
Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment (HEP) an der Universität Tübingen
haben in den Weltkulturerbe-Höhlen des Achtals und Lonetals Perlen aus
Mammutelfenbein gefunden, die in ihrer Machart bislang ausschließlich auf der
Schwäbischen Alb vorkommen. Am Fundort Hohle Fels bei Schelklingen im Achtal wurden
zudem Perlenformen ausgegraben, die gänzlich einmalig für diese Höhle zu sein
scheinen. Professor Nicholas Conard und sein Team präsentierten am Freitag im
Urgeschichtlichen Museum Blaubeuren (urmu) neue Schmuckfunde aus den
Grabungsarbeiten ‒ mit 40 Schmuckstücken ist die Anzahl der Funde ungewöhnlich
hoch.
Conard ist
zugleich wissenschaftlicher Direktor des urmu, der Schmuck ist dort ab sofort
als „Fund des Jahres 2017“ zu sehen. Eine wissenschaftliche Veröffentlichung
dazu erschien am 28. Juli in den Archäologischen Ausgrabungen
Baden-Württemberg, herausgegeben vom Landesamt für Denkmalpflege
Baden-Württemberg.
Die
archäologischen Ausgrabungen im Hohle Fels bei Schelklingen liefern jährlich
faszinierende Fundstücke aus der Jüngeren Altsteinzeit. Aus den Schichten des
Aurignacien, die zwischen 42.000 und 34.000 Jahre alt sind, wurden im
vergangenen Jahr wieder zahlreiche Schmuckstücke ausgegraben. „Diese Schmuckstücke
sind wichtig für die Entwicklung unserer Art: neben Kunst und Musikinstrumenten
dokumentieren sie als symbolische Artefakte die frühesten Schmuckfunde in
dreidimensionaler Formgebung aus Elfenbein.
Sie
unterstreichen die gemeinsame Kultur und soziale Einheit der Menschen im Ach-
und Lonetal, die neue Formen systematisch produziert haben – eventuell als
Ausdruck einer Konkurrenz-Situation zum Neandertaler oder als Reaktion auf die
radikalen Umweltveränderungen in dieser Zeit“, sagte Nicholas Conard. „Und wir
können sogar Rückschlüsse auf die gesellschaftlichen Vorstellungen während
dieser ersten Epoche der modernen Menschen in Europa ziehen.“
So haben die
Grabungsteams der Universität Tübingen in den Höhlen des Achtals wie auch des
Lonetals über die Jahre hunderte von doppelt durchlochten Perlen aus
Mammutelfenbein geborgen. Sie sind in der Mitte verdickt und zu den Enden
beidseitig abgeflacht. Die Lochungen entstanden durch das Bohren mit einem
feinen Feuersteingerät oder durch wiederholtes Einschneiden. Die Perlen liegen
in allen Stadien des Herstellungsprozesses vor, vom Rohling bis zum getragenen
Stück. In ihrer Herstellungsart kommen sie ausschließlich auf der Schwäbischen
Alb vor. Zudem sind die Schmuckstücke aus den schwäbischen Höhlen der bislang
älteste Nachweis für die komplexe Herstellung von Elfenbeinperlen weltweit.
Noch spezieller sind dreifach durchlochte Perlen aus Mammutelfenbein aus der
ältesten aurignacienzeitlichen Schichten des Hohle Fels im Achtal. Hier laufen
die Enden mehr oder weniger spitz zu, die beiden äußeren Löcher werden meist
durch Einkerbungen vom mittleren Teil der Perle abgesetzt. Die Einkerbungen
entstanden durch mehrfaches Ansetzen und Schneiden des entsprechenden
Steinwerkzeugs. Dieser Perlentyp ist nur vom Fundort Hohle Fels bekannt und
besitzt derzeit keine Parallelen zu anderen Funden.
Dass auch die
doppelt durchlochten Perlen nur aus Grabungen auf der Schwäbischen Alb bekannt
sind, zeigt für die Wissenschaftler, dass sie Ausdruck einer Gruppenidentität
waren. „Diese Form wurde nicht mit Menschen aus anderen Regionen geteilt,
obwohl europaweit Kontakte bestanden; dieser Perlentyp war offensichtlich für
die Gruppen im Ach- und Lonetal bestimmt“, sagt Dr. Sibylle Wolf,
wissenschaftliche Koordinatorin und Mitarbeiterin des Senckenberg Centre HEP.
Zudem träten die Perlen über einen Zeitraum von 6.000 Jahren auf: „Das bezeugt,
dass es eine Tradition des Herstellens und Tragens dieser sehr speziellen Form
gab.“
„Neben den
figürlichen Kunstwerken und Musikinstrumenten ist die Entwicklung des Schmucks
als persönliches und gesellschaftliches Ausdrucksmittel ein wichtiges Element
der kulturellen Entwicklung vor 40.000 Jahren. Die Bandbreite von Materialien
und Formen wird bei uns im Museum vorgestellt“, sagt Dr. Stefanie Kölbl,
geschäftsführende Direktorin des Urgeschichtlichen Museums in Blaubeuren.
Das
Urgeschichtliche Museum Blaubeuren (urmu) liegt in unmittelbarer Nähe der
Schwäbischen Steinzeithöhlen, die von der Unesco am 9. Juli 2017 zum
Weltkulturerbe ernannt wurden. Als Museum für Altsteinzeit in Baden-Württemberg
und Forschungsmuseum der Universität Tübingen stellt das urmu das eiszeitliche
Leben am Rand der Schwäbischen Alb vor 40.000 Jahren vor. Höhepunkte sind die
älteste Kunst und die ältesten Musikinstrumente der Menschheit mit
Originalfunden aus der Region. Prominentestes Exponat ist das Original der
„Venus vom Hohle Fels“.
Weitere
Originalfundstücke aus den Höhlen zeigen neben dem Urgeschichtlichen Museum (www.urmu.de) das Museum der Universität Tübingen
MUT (https://www.unimuseum.uni-tuebingen.de), der Archäopark Vogelherd bei
Niederstotzingen (www.archaeopark-vogelherd.de/Niederstotzingen) das Landesmuseum Württemberg und das
Museum Ulm (www.museum-ulm.de).
Kontakt:
Prof.
Nicholas Conard PhD
Senckenberg
Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen
Abteilung für
Ältere Urgeschichte und Quartärökologie
Telefon +49
7071 29-72416
Dr. Sibylle
Wolf
Senckenberg
Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen
Telefon +49
7071 29-75420
Dr. Stefanie
Kölbl
Urgeschichtliches
Museum Blaubeuren
Telefon +49
7344 9669 911
Ausstellungsdaten:
Die Funde
können ab dem 28. Juli 2017 bis Anfang Januar 2018 im Urgeschichtlichen Museum
in einer Kabinettausstellung betrachtet werden. Die Originale werden mit
Rekonstruktionen zu Funktions- und Trageweise ergänzt.
Eberhard
Karls Universität Tübingen
Hochschulkommunikation
Pressereferentin
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